Michael Strasser: Vom Forschungs­zentrum Marum an die ETH

Im Herbst 2011 kam der Meeres-Geologe und Erdbebenforscher Michael Strasser von Marum in Bremen als SNF-Professor an die ETH Zürich, seine Alma Mater zurück. Im Interview schildert er, was er bis jetzt gemacht hat und wie seine weiteren Pläne aussehen.

Das Interview mit Michael Strasser führte Gabrielle Attinger.

Michael Strasser, woran arbeiten Sie gerade?

Ich bin daran, eine Abbildung zu zeichnen für eine Publikation von der Expedition, die wir diesen Frühling von Japan aus machten, um das letztjährig Erdbeben zu untersuchen.

Was muss ich mir unter der Abbildung vorstellen?

Wir haben von den Japanern Geodaten erhalten, die Geländeinformationen vom Meeresboden liefern, wie er vor dem Erdbeben ausgesehen hat. Auf unserer Ausfahrt haben wir Daten über den Zustand nach dem Erdbeben gesammelt. Damit haben wir Differenzmodelle entwickelt, die ich jetzt als Karten darstellen möchte.

Sie sind jetzt seit letztem Herbstsemester hier. Warum haben Sie sich für das ERDW ETH entschieden?

Ich kannte die ETH schon, weil ich hier studiert und doktoriert habe. Ich weiss, dass die Infrastruktur für meine Forschung top ist und ich kenne die ETH als sehr dynamischer, inspirierender Ort - kurz: für mich der beste Ort, um die SNF-Professur auszuüben, obwohl auch andere Orte im Gespräch waren. Ausserdem hat die ETH ausserhalb eine hervorragende Reputation, das war ich mir als Student gar nicht so bewusst. Man kennt die ETH und arbeitet gerne mit Leuten von der ETH zusammen – dadurch ergeben sich auch attraktive Kooperationsmöglichkeiten.

Was waren die Alternativen?

Die Universität Fribourg, weil ich mit Jon Mosar von Fribourg zusammenarbeite bei einem Paleoseismologie Projekt im Neuenburgersee. Da ich aber nicht nur regional, sondern auch entlang des sogenannten pazifischen Feuergürtels, (z.B. in Japan, Chile oder Neuseeland) arbeite, also in bekannten Erdbebengebieten, bot sich die ETH auch als Sitz des Erdbebendienstes an, der befindet sich ja gleich einen Stock über mir.

Hatte die Familie mitzureden?

Die Familie war für Zürich. Meine Frau und ich hatten schon acht Jahre zusammen in Zürich gewohnt, bevor wir nach Bremen zogen. Wir stammen beide aus Chur, Zürich ist also die nächstgelegene Universitätsstadt. Unsere Tochter, die in Bremen zur Welt kam, hat so ihre Grosseltern in der Nähe. Und Zürich ist eine Superstadt!

Willkommene Hilfe

Haben Sie für den Umzug die ETH-Hilfe für ausländische Professoren in Anspruch genommen?

Ja! Ursprünglich dachten wir, wir würden das als Ortskundige selber schaffen, merkten dann aber schnell, dass es unmöglich ist, von ausserhalb eine Wohnung zu bekommen: Alles ist sehr kurzfristig und Besichtigungstermine kann man nicht wahrnehmen. Da für meine Professur viel Administratives über den Stab Professuren abzuwickeln war, habe ich dann eines Tages angefragt, ob die ETH-Hilfe auch von SNF-Professoren in Anspruch genommen werden könne. Ja, hiess es und von da an ging es sehr schnell: Die ETH hat uns ein Rundum-Sorglospaket vermittelt mit Maklervermittlung, der Zusammenstellung von Bewerbungsdossiers, Unterstützung beim Umzug und allem Drum und Dran. Einfach genial!

Wo wohnen Sie heute?

An der Bachofnerstrasse unterhalb des Schaffhauserplatzes – in einer Wohnung, die gar nie ausgeschrieben war.

Zurück zur Arbeit. Was machen Sie während den Semesterferien?

Ich habe mein erstes Semester als Dozierender hinter mir. Diese Zeit war sehr intensiv, das Aufbereiten des Stoffes zur Vermittlung an Studierende ist sehr aufwendig. Deshalb freue ich mich jetzt, endlich wieder einmal Zeit für meine Forschungsarbeit zu finden wie dieses Paper, das ich jetzt vorbereite. Ich möchte bis Mitte August meine „Produktion“ ankurbeln – das muss ich ja auch in meiner Position: Die SNF-Professur ist ein Sprungbrett. Hier ist der wissenschaftliche Output immer noch eines der wichtigsten Kriterien für das berufliche Weiterkommen.

Haben die Semester generell einen Einfluss auf Ihre Arbeit?

Ja. Ausserdem habe ich noch drei Masterstudenten, die ich betreue, neben einer Doktorandin und einem Postdoc. Vor allem aber habe ich einen Tag pro Woche damit verbracht, die zweistündige Vorlesung vorzubereiten, um wirklich sattelfest zu sein.

Worauf fokussieren Sie, auf die Lehre oder die Forschung?

Die Lehre und das Arbeiten mit Studenten macht mir sehr viel Spass. Ich bin aber vom SNF bezahlt, um Forschung zu betreiben. Das Dynamit-Projekt, in dem Erdbeben in Japan und der Schweiz erforscht werden sollen, ist mein Hauptfokus. Auch die Arbeiten der Studierenden, die ich betreue, integriere ich nach Möglichkeit in dieses Projekt, damit auch diese Forschung Teil eines Ganzen wird. Ich brauche das auch: Durch die Zusammenarbeit mit den Japanern, mit Marum in Bremen komme ich an viel mehr Daten, als ich allein selber bearbeiten könnte.

Ist es üblich, Studierende in solche Forschungsprojekte zu integrieren?

Zumindest bei Marum in Bremen schon, da gehen immer Studierende mit auf Expeditionen. Deshalb habe ich damit begonnen, schon in der Anfangsphase eines Projekts die Teilnahme eines Studierenden zu beantragen. Und das klappt auch. Ich selber bin als Student so in die Faszination Meeresforschung hineingerutscht: In einer zwei- bis dreiwöchigen Expedition lernt man mehr als in einem Semester Vorlesungen.

Wie sehen Ihre Pläne an der ETH längerfristig aus?

Meine Förderprofessur ist nicht in eine permanente Anstellung umwandelbar. Die vier Jahre können um maximal zwei Jahre verlängert werden. Es kann höchstens sein, dass in den nächsten Jahren eine Stelle in meinem Bereich frei oder neu geschaffen wird, auf die ich mich dann bewerben könnte. Meine Zukunft an der ETH liegt also nicht in meinen Händen und ich versuche mich daher gänzlich auf die mir verbleibenden 4 (plus 2) Jahre zu konzentrieren

Internationale Zusammenarbeit

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit innerhalb des Instituts, innerhalb des Departements im Vergleich zu anderen Institutionen?

Ich kenne nur eine andere Institution, das Marum in Bremen, der zündende Stern, was marine Geowissenschaft anbelangt. Ich war Teil des Instituts in einer enormen Wachstumsphase – und kam als Absolvent der ETH von einem in meinem Empfinden sehr dynamischen Institut. Retrospektiv stelle ich jedoch fest, dass bei Marum die Kommunikation viel offener war und die Hierarchien sind flacher.

Inwiefern?

Selbst als Marum Postdoc wusste ich, was die Professoren machen und wie die Entscheidungsfindungsprozesse abliefen. Ebenfalls war es dank verschiedenen Marum Veranstaltungen und Klausurtagungen fördernd Gruppen-übergreifend zu diskutieren und zu interagieren. Die Forschungsgruppen waren da aber auch kleiner und auf Interaktion angewiesen. Das D-ERDW scheint mir da etwas grösser und heterogener. Als ETH Student war mir das damals noch nicht so sehr bewusst. Es ergeben sich aber auch heute für mich sehr spannende Zusammenarbeiten mit ETH Kollegen und ich erhalte von der Departements Leitung sehr gute Unterstützung für mein Forschungsvorhaben.

Welches sind Ihre wichtigsten auswärtigen Kontakte?

Mein wichtigstes Standbein ist das International Ocean Drilling Programm IODP. Dadurch habe ich sehr enge Kontakte mit Top-Forschenden weltweit. Und von Bremen, wo ich vier Jahre tätig war, mit ihnen werde ich Kooperationen aufrecht halten. Ich werde z.B.im Neuenburgersee einen autonomen Unterwasser Roboter (AUV) aus Bremen einsetzen, um bessere, höher aufgelöste Daten vom Seeboden und Untergrund zu generieren.

An welchem Projekt würden Sie gerne einmal mitarbeiten?

Die Gashydrate am Meeresboden interessieren mich sehr. Das wird in Zukunft eine wichtige Energiequelle sein. Und sie haben einen grossen Einfluss auf die Stabilität des Meeresbodens – eines meiner Forschungsgebiete. In diesem Gebiet würde ich gerne eine Kooperation entwickeln. Ein Ozeanprojekt vor Neuseeland, in dem ich involviert bin, wird sich voraussichtlich ab 2015 diesem Thema widmen.

Eine Welt von Puzzle-Teilen

Wie verändert Ihre Forschung der Welt?

Nun, Prozesse wie Erdbeben, Unterwasserrutschungen und Tsunamis, die ich erforsche, kann man kaum beeinflussen und bisher auch nicht vorhersagen. Aber meine Forschung trägt dazu bei, die Wiederkehrraten und Erscheinungsbilder langfristig besser zu verstehen um irgendwann genügend Daten für verlässlichere Wahrscheinlichkeitsberechnungen und Naturgefahren-Schadensbilder zu haben. Ich vergleiche meine Wissenschaft gerne mit der Meteorologie: Sie entwickelt sich auch in dem Masse, in dem neue Daten zur Verfügung stehen. Unsere Bohrlöcher sind vergleichbar mit dem ersten Wetterballon, der vor 300 Jahren in den Himmel stieg. Es braucht also noch ein paar Forschergenerationen für verlässliche „Vorhersagen“. Insofern ist meine Forschung nur ein kleines Puzzle-Teil, das aber hoffentlich dazu beitragen wird die Welt besser auf immer wiederkehrende Naturkatastrophen vorzubereiten.

Wo sehen Sie sich in 20 Jahren?

In einer leitenden Forschungsrolle, in der ich eine Gruppe leite, die die dynamischen Prozesse in den Seen und im Ozean erforscht. Am liebsten in einer Professur an eine Schweizer Hochschule, da ich damit auch als Dozent mein Fachwissen und meine Erfahrung der nächste Generation junger Wissenschaftler weitergeben kann und die Schweiz, trotz Binnenlandstaat, als wichtigen Player in den marinen Geowissenschaften vertreten kann.

Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

Ich hatte wenig Freizeit in den letzten zehn Monaten. Um 17 Uhr nach Hause zu gehen und dann zwei-drei Stunden „Rössli“ oder „Verstecken“ spielen – das ist meine Freizeit. Aber mir gefällt’s, ein Kind zu haben ist das Beste, was es gibt. Ansonsten beschränken sich die Freizeitaktivitäten auf Konzert- und Theaterbesuche.

Und was ist Ihr privater Traum? Eine Reise rund um die Welt?

Nein, ich konnte schon von Berufes wegen dreimal um die Erde reisen. Die nächsten 20 Jahre steht meine Familie im Mittelpunkt. Nachher werde ich vielleicht ein Symphonieorchester dirigieren, wer weiss.

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