Nichts erschüttert seine Zuversicht

Seit bald 48 Jahren arbeitet André Blanchard an der ETH Zürich – so lange wie niemand sonst. Was hat ihn all die Jahre hier gehalten?

1990, irgendwo im US-Bundesstaat Utah: Ein Mann nähert sich einem Streifenwagen. Darin döst ein Polizist, den Cowboyhut tief ins Gesicht gezogen, die Westernstiefel auf dem Armaturenbrett. Der Mann klopft an die Scheibe. Grimmig lässt der Polizist die Fensterscheibe herunter. «Sorry», sagt der Mann in gebrochenem Englisch, «ich bin aus der Schweiz. Ich suche ein bestimmtes Grundstück», fährt er fort, «ich muss dort Messgeräte für die Universität Utah aufstellen. Ist dies der richtige Weg?»

Ein paar Funksprüche später ist der Grimm verflogen und der Polizist zeigt ihm den Weg. Er schenkt ihm sogar seine eigene, genauere Strassenkarte. Am Ziel beginnt der Schweizer, ein GPS-Messgerät aufzustellen. Mit den gemessenen Koordinaten lässt sich die Bodenverschiebung berechnen. Die Geräte und das Auto hatten ihm Erdwissenschaftler der Universität Utah überreicht. Danach hiessen sie ihn an, allein aufzubrechen.

Plötzlich raschelt es im Gebüsch und die Wissenschaftler tauchen auf. Sie klopfen ihm auf die Schultern. Sie hätten sehen wollen, ob er sich allein in der Fremde tatsächlich so bravourös durchschlage, wie das ihre Forschungspartner und Forschungspartnerinnen aus Zürich versichert hatten.

Sein Ruf war André Blanchard vorausgeeilt. Bei den Forschenden des Instituts für Geophysik und des Erdbebendiensts SED hatte er sich einen Namen als sehr zuverlässiger Techniker gemacht, den man gut sich selbst überlassen könne. Auch bei schwierigen Aufgaben finde er immer einen Weg, um sie so abzuschliessen, dass das Ergebnis rundum zufriedenstelle. Heute zählt André Blanchard den Aufenthalt in Utah zu seinen vielen schönen Berufserlebnissen.

Es gibt immer eine Lösung

Porträt von André Blanchard
André Blanchard (Foto: Gian Marco Castelberg)

«Utah zeigte mir, dass es immer einen Weg zur Lösung gibt», erinnert er sich, und in seine Worte mischt sich die ganze Gelassenheit des Mitarbeiters, der aktuell von allen ETH-Angehörigen am längsten an dieser Hochschule arbeitet: «Wer offen auf andere zugeht, findet immer jemanden, der einem weiterhilft.» Seine Offenheit, sein grundanständiger Umgangston sowie die Fähigkeit, anderen zuzuhören und sie ernst zu nehmen, haben André viel Achtung und Wertschätzung eingebracht.

1976 begann er eine Berufslehre in der Abteilung für industrielle Forschung der ETH. Diese Einheit ist mittlerweile ebenso verschwunden wie es die Berufsausbildung als Feinmechaniker nicht mehr gibt. Diese Lehre war damals noch nicht computerisiert, sondern Handarbeit: drehen, fräsen, feilen, schaben. Dank der Kombination aus forschungsnahem Handwerk und einem Auge für praktische Lösungen hat André einen guten Draht zu den Forschenden entwickelt.

Der Mann der vielen Schlüssel

Nach neun Jahren als Techniker im einstigen Institut für Angewandte Physik wechselte er zur Geophysik und zum Erdbebendienst, für die er bis heute im Einsatz ist. Längst ist er nicht mehr reiner Techniker, sondern kümmert sich um viel mehr, vom Transport bis zu Sprengungen. Für manche ist er der «Logistik-Manager», andere nennen ihn spitzbübisch den «Mann der vielen Schlüssel».

Die Spuren seiner Arbeit führen mitten ins Herz der Erdwissenschaften. Im Untergeschoss des NO-Gebäudes steht ein Seismograf aus der alten Sternwarte Binningen, der früher Erdbeben aufzeichnete, und den Blanchard mit weiteren Fachleuten in Zürich wiederaufbaute. Das Schöne an solchen Projekten, sagt er, der praktisch nie einem Team zugeordnet war, sei die Zusammenarbeit mit anderen. Besonders die Feldarbeiten sagten ihm zu, weil da Studierende, Forschende und Mitarbeitende Hand in Hand an einem Strick zogen.

«Die ETH ist nur so gut wie ihr gesamtes Arbeitsumfeld gut ist», sagt er, und dieses Credo hat ihn viele Jahre als Präsident der Personalkommission und Mitglied weiterer Gremien angeleitet: «Du kannst nicht nur reklamieren. Du musst aktiv mitwirken.»

Wie eine Familie

Entscheidend dafür, dass André Blanchard immer an der ETH blieb, sei sein direktes Umfeld. Schliesslich konnte er den Forschenden jederzeit seine Sicht der Dinge darlegen, und sie erklärten ihm ihrerseits ihre Anliegen jeweils schlüssig. Für ihn, der keine Kinder hat, ist die ETH «fast wie eine Familie», sagt er und fügt strahlend hinzu: «Noch heute rufen mich Forschende an, die ich schon kannte, als sie noch hier studierten.»

Wenn er nächstes Jahr in Pension geht, wird er dennoch nicht allein sein. Mit seinem Bruder kaufte er 1998 einen Bauernhof im Naturschutzgebiet bei Glattfelden. Dort leben Fische, Pferde, Katzen und ein Hund. Mit 65 wird er nun den Schnitt machen und das Kapitel ETH nach über 48 Jahren schliessen.

Dieser Artikel wurde zuerst im life – Das Magazin für die ETH-Community – publiziert.
Autorin: Florian Meyer

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